Nun bat auch der "martinus" um persönliche Geschichten. Ein Teil von diesen Erzählungen wird wohl dort erscheinen.
1960
wurde aus der Apostolischen Administratur
unsere Diözese Eisenstadt. Im Juli dieses Jahres war ich nach der Schulzeit in
Wien und Baden wieder in Eisenstadt gelandet, und trat der Katholischen
Arbeiterjugend - KAJ - bei. Einmal war ich schon in der Pfarre am Oberberg in
einer Gruppenstunde gewesen, und dachte, das wäre fein nach der Schule, wenn
die Religionsstunden aufhören. Da ich aber in der Stadtpfarre zu Hause bin,
meldete ich mich dort. Als ich gleich bei den ersten Liedern kräftig meine
Stimme erschallen ließ, fragte mich die Führerin, ob ich nicht zum Kirchenchor
gehen wollte. Natürlich wollte ich das, alles Singen war eine Freude für mich.
So konnte ich die
Diözesanerhebung mit unserem neu ernannten Bischof DDr. Stefan Lászlo, von der
Empore mit unserem Chor mitgestalten. Sogar im Fernsehen erschien ich damals,
da ich neben der Solistin stand. Nun waren wir der Domchor anstatt einfach nur
der Kirchenchor. Damals noch unter der Leitung von Prof. Bara.
Der neue Bischof war uns ja
schon lange bekannt, auch seine sehr selbstbewusste Mutter, die nun - sehr zu
ihrem Stolz - zur Bischofsmutter aufgestiegen war. Die Dreisprachigkeit des
neuen Bischofs, Deutsch, Ungarisch und Kroatisch, war von großem Vorteil für
unser Land, konnte er nun doch auch unsere Minderheiten in ihrer vertrauten
Sprache anreden.
Wir nannten den Bischof so im
Volksmund oft den "Pista Bacsi" - den Onkel Stefan. Aber eigentlich
war er auch so eine richtige Exzellenz. Eine Mischung von allen, wie ein Vater,
wie ein guter Hirte und doch auch eine ehrerbietende Persönlichkeit.
Im Bischofshof war ich viel,
trotzdem sah ich den Bischof äußerst selten. Selbst als ich drinnen als
Diözesansekretärin der Katholischen Arbeiterjugend arbeitete, kam ich nicht
richtig in Kontakt mit ihm. Kurzum ich nahm an, er hätte mich gar nie
registriert.
Später ging ich nach
Vorarlberg arbeiten. In dieser Zeit wurde die Diözese Feldkirch gegründet.
Unser Bischof war dabei, und nun staunte ich nicht schlecht: Er sah mich,
begrüßte mich erfreut, und meinte zu dem Mann neben ihm - einen Ordensbruder
aus Oggau, den er mir dann vorstellte: "Kennen Sie die nicht? Das ist die
Gucki aus Eisenstadt." Siehe da, er wusste sogar meinen Spitznamen! Von da
an war er mir natürlich schon sehr sympathisch!
Nach Vorarlberg kam die
Seefahrt. Dazwischen meine Heirat, Scheidung und wieder Seefahrt. In der langen
Fahrt nach China wuchs das Heimweh enorm: "Nach Hause, und einen
ordentlichen Job bis zur Pensionierung,
wie andere auch - sonst nichts mehr!"
Sofort ging ich auch wieder
zum Domchor, den schon länger Prof. Harald Dreo übernommen hatte. Nun hatte sich
schon einiges geändert. Einmal im Jahr lud uns der Bischof ein, sozusagen zum
Neujahrssingen. Später wurde Maria Lichtmess der Tag unseres Treffens, und das
Haus der Begegnung ein beliebter Platz dafür.
Liebevoll sammelte unser
Bischof das ganze Jahr über auf all seinen Reisen kleine Andenken, die er dann
verteilte, unter anderem auch an uns vom Domchor. Nur, man musste sich die
irgendwie verdienen. Es gab Quiz-Fragen zu beantworten! So erinnere ich mich an
die Frage von ihm: "Wer weiß, warum ich die Zahl 33 so mag?" Nun, das
war ja nicht schwer zu erraten, ich war die Erste, die die Hand in die Höhe riss:
"Das ist das Lebensalter Jesu." "Jaaa", freute sich der
Bischof, und ich bekam ein Kreuzerl aus Jerusalem geschenkt.
Als ich 1990 von Amerika
zurückkam, wo ich als Journalistin für die deutsche Zeitung tätig war, meldete
ich mich bei der Kirchenzeitung. Zuerst bei Josef Bauer, weil ich ihn kannte.
Er war damals Chefredakteur in Wien. Meine Artikel gefielen ihm, und er meinte:
"Geh zu Jonny Buchberger in Eisenstadt, der wird sich vielleicht auch
freuen." So war es. Ein halbes Jahr, als Franz-Josef Rupprecht beim
Bundesheer weilte, wurde ich sogar angestellt. Bei der nächsten Weihnachtsfeier
durfte ich auf diese Weise dabei sein. Da nahm mich der Bischof bei der Hand
und meinte: "Da ist sie ja wieder, unsere Gucki!" Hans Gürer hielt
diesen netten Augenblick zum Glück auf Foto fest.
Der Bischof konnte an und für
sich gut predigen. Doch manchmal schaffte er die Vorbereitung scheinbar nicht
so ganz, dann war's nicht ganz so wunderbar. Wie wir damals noch eher zum
Negativdenken neigten, hielten wir uns eher daran fest. Wenn wir also mit dem
Domchor sangen, war da eine kleine Gruppe, die sich regelmäßig hinter den Chor
zurück zog, wenn der Bischof anfing zu predigen. Manche brauchten auch eine
Zigarette zwischendurch, und Harry wusste genau, wann wir wieder hinein
mussten. Irgendwann, als ich so nach und nach durch die KAJ in der Liebe wuchs,
kam mir zu Bewusstsein, dass das doch nicht die ganz feine Art war, dem Bischof
einfach nie zuzuhören, mit der Ausrede: "Er sagt eh nichts
Gescheites." Also blieb ich von da an drinnen, und siehe da, in jeder
Predigt war genug, das ich mir herausholen konnte!
Ich wohnte vorübergehend im
Altenheim St. Martin, als ich in Bremen in der Funkerschule war. Meine Wohnung
war vermietet, dadurch konnte ich mir die Schule überhaupt leisten, und im Haus
St. Martin waren die ursprünglich für die Angestellten gedachten Räume frei,
die Mitarbeiter fuhren alle nach Hause. Als ich bei einer Feier des Hauses ein
weißes Kleid an hatte, gefiel das dem Bischof besonders gut. Offensichtlich kam
da meine gottverbundene Seele zum Ausdruck. Er meinte jedenfalls: "Nun
wird die Gucki bald bei uns eintreten!" Damit meinte er in der
Gemeinschaft der "Schwestern vom Göttlichen Erlöser", die auch das
Haus St. Martin damals leiteten. Nun, das wurde nichts, aber ganz so weit
hergeholt war diese Idee nicht, dreimal wollte ich in eine Gemeinschaft
eintreten - zweimal in ein Säkularinstitut, aber es passte nie. Zuerst war ich
ihnen zu energiegeladen, dann gefiel ihnen mein Autostoppen nicht. Bei einer
anderen Gemeinschaft war ich dann schon zu alt. Heute weiß ich freilich, dass
das eben nicht mein Weg gewesen wäre.
Wir hatten hohen geistlichen
Besuch, der nach Pressburg zum Flughafen geleitet werden musste. Der Bischof
übernahm das persönlich. Ich fuhr hinterher, denn ich wollte das ja festhalten.
Mit Blaulicht schwirrten wir durch die Ortschaften, aber ich schaffte es
trotzdem auf der Spur zu bleiben. Erste Station war der Dom in Pressburg. Das
Bischofsauto hielt, ich dahinter und sprang hinaus. "Die Gucki",
sagte der Bischof liebevoll. Erst danach erfuhr ich, dass diese Fahrt inkognito
sein hätte sollen, und gar nicht pressemäßig festgehalten werden sollte.
Auch bei sonstigen Festen,
selbst Straßenfesten in Eisenstadt, fragte der Bischof immer gleich: "Kennen
Sie die, das ist die Gucki." Nun, viele kannten mich ja sowieso, aber ich
fand es doch sehr nett.
Dann musste der Bischof aus
Altersgründen um seinen Rücktritt ansuchen - damals war die Grenze noch 80. Er
hätte aber noch gerne als amtierender Bischof seinen 80iger gefeiert. Das war
ihm nicht gegönnt. Aber so hatte er wenigstens genug Zeit für die ganzen
Feierlichkeiten.
Er wohnte dann im Haus St.
Martin. Immer wieder wollte ich ihn besuchen, und schaffte es doch nicht. So
kam es, dass er sich von dieser Welt verabschiedete, und ich hatte ihn nie
besucht. Es tat mir so leid, aber nun war nichts mehr zu ändern. Ja, und dann
saß ich bei seinem Sarg in der Kirche in Trausdorf, drei Stunden! Die anderen
beteten kroatisch, und da ich das sowieso nicht kann, meditierte ich still für
mich. Da war er mir so nahe, und es war mir, als würde er mich wieder bei der
Hand nehmen und sagen: "Es ist alles gut."
Eisenstadt, 9. 1. 2013 INGRID
MARIA LINHART
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