Mittwoch, 8. Oktober 2014

JOHANNES HAIDER - 21. 10. 1954 - 24. 9. 2014

Als ich nur wenige Tage vor dem Hinübergang Johannes Haiders den "Rundfall" in Eisenstadt

fotografierte, neben dem ich unmittelbar wohne, ahnte ich nicht, dass ich schon bald darauf auf das Begräbnis des Künstlers gehen sollte. Ein Sturz im Haus in Oslip, wo die NN-Fabrik seit 14 Jahren beheimatet ist, ging für Hannes tödlich aus, kurz vor seinem 60sten Geburtstag. Den darf er nun schon in einer anderen Welt feiern. 

  Gräser waren in den letzten Jahren sein besonderes Motiv. Ich fand eine Einladung von 2012, wo sie ebenfalls schon aktuell waren. Auch vorne beim Altar in der Bergkirche prangten seine Gräser. Grüne nun in neuer Fülle auf der anderen Ebene, lieber Hannes!

  Siegmund Kleinl, von Anfang an mit Hannes gemeinsam am Wirken, hielt nach dem Evangelium eine Predigt der besonderen Art, einen äußerst bewegenden Nachruf, den er mir zur Verfügung gestellt hat. Danke, Siegi, für Deine so geistvollen, tiefen Worte!

  Eine besonders nette Geste: Die Familie von Hannes lud in seinem Sinne alle nach der Verabschiedung in die Cselley-Mühle ein. Es war ein wirklich nettes Beisammensein,bei dem noch viel wohltuender Austausch möglich war. Ganz herzlichen Dank dafür!

  Ich kenne die NN-Fabrik seit sie am Zuckerfabrik-Gelände in Siegendorf gegründet wurde, bekam die Einladungen, und besuchte sporadisch die Veranstaltungen.
  Johannes Haider, einer der hervorragendsten burgenländischen Künstler, war äußerst aktiv, auch bereits international. Er half aber auch jungen Künstlern immer wieder, wie dem Bananensprayer Thomas Baumgärtel und Birgit Sauer in ihren Anfängen. Birgit brachte zum Dank einen Strauß weißer Rosen. Ich sprach mit der Künstlerin:
"Birgit, was war es genau, das Dir so eine große Hilfe war?" "Hannes hat mir in allem geholfen, im Künstlerischen und Geschäftlichen. Auch die Bohrmaschinen für den Rahmenbau und vieles andere lernte ich handhaben. Inzwischen bin ich ja schon lange selbständig, aber ich bin Hannes sehr dankbar für vieles." Ja, Birgit hat von der anfänglichen, reinen "Haiderischen" Strichkunst zu ihrem eigenen, sehr beachtlichen Stil gefunden.
Ihre nächste Veranstaltung ist am Donnerstag:
Blurred - Ausstellung von Birgit Sauer
19:00 Uhr

Wiener Städtische - Kalvarienbergplatz 7, 7000 Eisenstadt

Weitere Bilder auf:
https://www.facebook.com/media/set/?set=a.922431897785668.1073742002.100000566001538&type=1&l=a73e9f6f3b

Johannes Haider
Nachruf von Siegmund Kleinl


Versammelte Trauergemeinde!

Liebe Angehörige von Johannes mit seinen drei Söhnen Raffael, Kaspar und Tillmann, die er auf seine besondere Weise geliebt hat!

Durch die Kunst ist der Künstler der Ganzheit des Lebens stets nahe, auch im Tod.
Rilke sagt, dass der Tod nur die dunkle Hälfte der einen Frucht des Lebens ist.
Der Blick auf das Ganze des Daseins macht Hoffnung, auch wenn das leibliche Nichtmehrdasein von Johannes Haider schmerzt, uns, die ihn gekannt haben als ungewöhnlichen Menschen und Künstler.

Es gibt verschiedene Theorien über ein Kunstwerk und sein Entstehen. Eine dieser Theorien besagt, dass ein Bild im Künstler angelegt ist, er müsse es nur heben, wie es Johannes ausdrückte, als ich zum letzten Mal bei ihm in der NN-fabrik in Oslip war. Aber auch umgekehrt: Das Bild ist nicht nur im Künstler, er ist auch im Bild, lebt in ihm. Im gelungendsten Fall ist er mit dem geschaffenen Werk eins. Er ist das Bild.

Johannes Haider hat sich in den letzten Monaten und Wochen seines Lebens immer mehr dieser Höchstform künstlerischer Existenz genähert, als wolle er, so mein Eindruck, seine ganze Lebensenergie in die Bilder investieren, ja sich selbst in seiner personalen Leibhaftigkeit ihnen übereignen.

Als er mir vor knapp mehr als zwei Wochen in der NN-fabrik, die er und ich 1991 gemeinsam als Kunst- und Literaturedition gegründet haben, seine letzten Arbeiten zeigte, da offenbarte sich mir eine Dimension seines Werkes, die ich bis dahin noch nicht bewusst wahrgenommen hatte.
Gräser war das Thema der Buntstiftzeichnungen seiner letzten Schaffensjahre. Er ist damit zu einem Material und einer Technik zurückgekehrt, die er auch am Anfang seines künstlerischen Schaffens verwendet hat. Ich erinnere mich an eine Zeichnung, die am Cover eines Religionsbuches der AHS-Oberstufe abgebildet war und eine blühende Wiese in überbordender Lebensfülle darstellte.
Dieses Motiv einer biotopischen Wiese hat er in seinem Spätwerk unter dem Titel Gräser wieder aufgegriffen und gewandelt. Es sind Zeichnungen mit Farbstiften in verschiedensten Varianten und Formaten. Sein letzter Wunsch an mich war, über diese Bilder zu schreiben.

Begonnen hat Johannes mit dem Gräser-Motiv auf der Kupferplatte, die für ihn der Bildträger schlechthin war. Es ist keineswegs übertrieben, die NN-Fabrik als eines der Zentren der Kunstgraphik Europas zu bezeichnen. Bekannte Künstler aus  Österreich und weit darüber hinaus haben hierorts Radierungen geschaffen, deren Qualität in der internationalen Kunstszene große Beachtung fand.

Wir, Johannes und ich, sehen uns eine Radierung, Gras betitelt, an und er sagt: Daran muss ich noch arbeiten. Es ist zu wenig Leben darin.
In den Gräsern seiner Buntstiftzeichnungen hingegen ist Leben in Fülle: ungemein kraftvolle Striche, ein intensives, nuancenreiches Grün in dynamischer Bewegung, so als würden die dichten Halme vom Wind beatmet und bewegt. Der Wind steht in der Kulturgeschichte immer für Atem, Geist, Leben.
Er ist wie das Gras Symbol für eine geradezu göttliche Vitalität, aber auch für Vergänglichkeit.
Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch, lesen wir im biblischen Buch Kohelet, und im Psalm 103 heißt es: Der Mensch ist wie Gras. Wie Johannes Haider. Er hat seine ganze Energie in dieses Motiv gesteckt, sie verschwendet, damit es wachse und Frucht bringe.

Zu den Gräsern zählt nicht nur das Wiesengras, das Johannes in seinem großen Skulpturengarten durch die hohen Glastüren seines Ateliers in Oslip immer vor Augen hatte, auch Roggen, Gerste und Weizen gehören dazu.

In den Grasbildern von Johannes Haider steckt so viel  Energie, dass man den Eindruck gewinnt, er wolle sie zu Brot werden lassen, zu einem Lebensmittel für die Betrachter. Kunst ist ja immer auch ein Lebensmittel, ein Mittel zum Leben.

Der Künstler ist ein Wandler, ein Verwandler. Er verwandelt sich und das Wesen der Dinge. Die Farbstifte werden im künstlerischen Prozess zum Bild. Wandlung des Künstlers Johannes Haider:
Werker, Wirker, Verwirklicher, Verwirklichter.
Wie Brot und Wein durch die eucharistische Wandlung zu Leib und Blut Christi werden, so wird durch das Verfahren des Künstlers das verwendete Material zu einem lebendigen Bildkörper, wandelt sich der Künstler vom Geschöpf zum Schöpfer seiner selbst. Im Kunstwerk ist die gewandelte Lebensenergie des Schaffenden enthalten. Er lebt in den Bildern in anderer Gestalt weiter.

Anschaulich wird diese kühne Behauptung, die eine Form der Überwindung des Todes ist, bei genauer Betrachtung der Gras-Zeichnungen.  
Diese Bilder von Johannes vor meinem geistigen Auge, erspüre ich eine Aura, die den entscheidenden Mehrwert einer Zeichnung ausmacht. Es ist das, was der Kunstschaffende nicht machen kann, was ihm gegeben werden muss, damit seine Arbeit zum Kunstwerk wird.

Es bleibt in unserem Leben trotz all unserer Bemühungen und Leistungen ein essentieller Rest des Nichtmachbaren. Erst durch diesen Rest bekommt unser Sein seine Eigentlichkeit, sein wahres Leben. Das, was uns in unserem Menschsein zutiefst eigen ist, wird uns letztlich in seiner vollendeten Form geschenkt. Und dieses von uns erwirkte und gleichzeitig uns zukommende Leben, das über den Tod hinausgeht, ist für Johannes, für uns alle, seine Angehörigen, Freunde und Kollegen, fürwahr keine Illusion, wie wir hoffen und glauben.

Wie der Künstler Johannes Haider für seine Bilder gelebt hat und in diesen Bildern lebt, so lebte er auch für seine Kinder, die drei Söhne Raffael, Kaspar und Tillmann.
Sein ältester Sohn Raphael hat mit ihm eine Zeitlang in der NN-fabrik gearbeitet, hatte in vielen Radierungen von Johannes seine Hand im Drucken der Kupferplatte, hat sich so gesehen hineingehandelt in das Lebenswerk des Vaters.
Die jüngeren Söhne, Kaspar und Tillmann, die bei ihrer Mutter in Frankfurt leben, haben sich bei ihren Aufenthalten in Oslip  immer daheimgefühlt. Johannes  war auf seine ihm eigene Art ein sorgender und liebevoller Vater und die Kinder schienen mir in seiner Nähe immer glücklich zu sein.
Er hat ihnen in der kurzen Zeit, die sie miteinander verbrachten, viel mitgegeben für ihr Leben.

Ich denke, dass ihm dieses Mitgeben seines Könnens auch als Professor für bildnerische Erziehung im Gymnasium Wolfgarten im Blick auf seine Schüler ein Anliegen war. Er versuchte sie über die Kunst dazu anzuregen, sich selbst zeichnend und malend in Form zu bringen. Und bei nicht wenigen konnte er auch durchaus etwas bewegen.

Seinen Kollegen gegenüber war er kritisch, wirkte manchmal etwas distanziert, war es vielleicht auch, gleichzeitig aber versuchte er, wie ich aus vielen Gesprächen mit ihm weiß, ihr Denken und Handeln zu verstehen. Er hat mit mir immer wieder über die Fähigkeiten und Stärken jeder und jedes Einzelnen aus unserer Kollegenschaft gesprochen.

Auch wenn Johannes Haider nun physisch von uns, die wir hier versammelt sind, getrennt ist, wird er weiter zu uns gehören und vor allem durch seine Realpräsenz in seinen Bildern bei uns sein.
Lieber Johannes,  tiefen Dank für das, was du uns warst und weiter sein wirst.